Vergessene Geschichte – Berufsverbote – Politische Verfolgung
Vor 45 Jahren wurde der sogenannte Radikalenerlass von SPD Bundeskanzler Willy Brandt und den Ministerpräsidenten der Bundesländer beschlossen. In der Folge wurden mehr als 3,5 Millionen Menschen einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz unterzogen. Viele von ihnen, fast ausschließlich aus dem linken Spektrum, erhielten Berufsverbote. Sie wurden aus dem öffentlichen Dienst entfernt oder ihre Bewerbungen abgelehnt. Jahre später nannte Brandt den Radikalenerlass einen „Irrtum“. Diese Art der politischen Säuberung, der Bespitzelung und Ausgrenzung politisch unliebsamer Beschäftigter, prägte für Jahre und Jahrzehnte ein Klima der Einschüchterung.
Die Wanderausstellung des Bündnisses „Berufsverbote Hessen“ nimmt den Jahrestag des ‚Radikalenerlasses’ zum Anlass, die politische Aufarbeitung dieses kaum beachteten Kapitels westdeutscher Nachkriegsgeschichte mit einer neuen Ausstellung voranzubringen. Dabei wird der Bogen weit gespannt: Auf 18 Stelltafeln wird die Geschichte der Berufsverbote in Deutschland vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart erzählt und ein umfassender Überblick über Fragen politischer Verfolgung und Repression geboten. Überrascht stellen wir dabei fest, dass es in Deutschland bis ins 21. Jahrhundert hinein Berufsverbote gab und wir auch in der Gegenwart nicht umhinkommen, uns mit verschiedenen Formen der politischen Repression und geistigen Beschränkungen im Berufsleben auseinanderzusetzen, wenn es darum geht, die Gesellschaft positiv verändern zu wollen.
Daher werden auch wir mit der Ausstellung im Foyer des neuen Campus Centers an einem zentralen Ort der Universität Kassel auf diesen wenig beachteten und weiterhin aktuellen Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte aufmerksam machen. Im Rahmenprogramm setzen wir uns mit den historisch-politischen Kontextbedingungen des Radikalenerlasses und den Folgen der Berufsverbote für die Betroffenen auseinander. Ebenso wollen wir uns mit der aktuellen Situation massenhafter Berufsverbote in der Türkei und den Möglichkeiten praktischer Solidarität befassen sowie Perspektiven emanzipatorischer Politik, Wissenschaft und Bildung unter Bedingungen eines allgegenwärtigen Konformitätsdrucks gemeinsam in Vorträgen und Workshops ausloten.
Die Wanderausstellung des Bündnisses „Berufsverbote Hessen“ informiert vom 6. bis 16. Juni 2017 im Foyer des neuen Campus Centers der Universität Kassel über diesen wenig beachteten und weiterhin aktuellen Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte.