Prozessbericht „versuchte Strafvereitelung“ 19.11.2020

Zwei Angeklagte sahen sich mit dem Vorwurf der „versuchten Strafvereitelung“ konfrontiert, weil Sie einer Person zur Hilfe eilten, welcher während einer brutalen Festnahme durch Kaufhausdetektive die Luft abgedrückt wurde

Die Angeklagten wurden am 04.05.2019 auf dem Weg zu einer links-ökologischen Kundgebung auf die Szene aufmerksam, weil der Betroffene um Hilfe schrie und mit nacktem Oberkörper, verfolgt von zwei weiteren Menschen, durch die Treppenstraße in Kassel lief. Nach kurzer Zeit veränderte sich die Situation dahingehend, dass der Betroffene stolperte und im Zuge seines Sturzes von den beiden Verfolgern brutal am Boden fixiert wurde. Dabei knieten die beiden Verfolger auf dem Betroffenen und drückten ihm unter anderem mit Knie und Unterarm die Kehle zu. Um die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen besorgt intervenierten die beiden Angeklagten verbal und körperlich, um einen bleibenden gesundheitlichen Schaden des Betroffenen abzuwenden.

So wurde die Situation von einem der beiden Angeklagten in einer schriftlichen Einlassung, welche seine Anwältin am Anfang der Verhandlung verlas, geschildert. Im Laufe des Prozesses wurde dann deutlich, dass es sich bei den beiden Verfolgern um Ladendetektive der Kasseler „Sicherheitsfirma“ Protex handelte, und bei dem Betroffenen um einen vermeintlichen „Ladendieb“. Mehrmals vielen Vergleiche zum Tode George Floyds, da es sich bei den Angreifern um weiße und bei dem Betroffenen um einen PoC* handelte.

Nach der Einlassung des Angeklagten erhob der Staatsanwalt das Wort und sagte, er könne sich gut in die Situation der beiden Angeklagten hineinversetzen, daher biete er den Beklagten eine Einstellung nach §153 ohne Auflagen an. Dies lehnten die beiden Angeklagten nach kurzer Beratung mit ihren Anwältinnen ab und forderten einen Freispruch, da die Motivation ihrer Handlungen nicht auf die Befreiung des Angeklagten und somit einer Strafvereitelung abzielten (da sie von einer Strafverfolgung und einer Festnahme ja gar nichts wissen konnten), sondern auf die Deeskalation und Abwendung der lebensgefährlichen Gewalteinwirkung.

Die Schilderung der Angeklagten wurde auch von drei weiteren Zeug*innen bestätigt. Zwei Passantinnen und auch der Betroffene, welcher aus dem Knast zur Zeugenaussage vorgeführt wurde, bestätigten die Angaben. Der Betroffene ergänzte die Schilderung der Angeklagten noch darum, dass er von dem aggressivsten „Ladendetektiv“ von Anfang an beleidigt wurde. Schon als dieser ihm vor dem Geschäft stellte, bezeichnete er ihn als Pussy. Als er ihn nach dem Sturz auf den Boden drückte, sagte er „hab ich dich du Hurensohn“. Ihm sei eine lange Zeit die Luft abgedrückt worden, und erst als die hinzugerufenen Bullen eintrafen, sei von ihm abgelassen worden und er brauchte Minuten um wieder zu Atem zu kommen. Das hätten die Polizisten auch registriert, und ihm daher im Einsatzfahrzeug Wasser angeboten. Daran konnte sich einer der Beamten, welcher als Zeuge im Gerichtsaal vernommen wurde, natürlich nicht erinnern.

Auch wurde deutlich, wie sich die drei Kaufhausdetektive (ein weiterer stand in der Nähe des Geschehens) abgesprochen haben, um im Nachhinein ihre Handlungen zu legalisieren. Obwohl schnell bewiesen war, dass sie schon im Geschäft den Ausweis des „Diebes“ und das Diebesgut an sich genommen hatten, und somit keine rechtliche Grundlage für eine Verfolgung und Festnahme bestanden hatte, blieben die „Securitys“ bis zum Schluss bei ihrer Absprache, dass sich der Betroffene nicht ausgewiesen habe.

Die Richterin suggerierte in den Zeugenvernehmungen immer wieder, dass ja durch ein angebliches Ausweisen der Verfolger als Protexmitarbeiter, sowie durch die Vorgeschichte des „Ladendiebstahls“, jegliche Handlungen der Angreifer gerechtfertigt gewesen seien.

Am Ende beantragten die Verteidigerinnen weiterhin einen Freispruch, der Staatsanwalt veränderte seine Position vom §153 zu je 40 Tagessätzen wegen „versuchter Strafvereitelung“ und die Richterin setzte noch einen oben drauf, und verurteilte die beiden zu jeweils 75 Tagessätzen.

Gegen dieses Urteil hat einer der Angeklagten Rechtsmittel eingelegt, wir können uns also auf einen weiteren Prozess vorbereiten. Wir werden euch rechtzeitig informieren.

Ansonsten, alles wie gehabt: Gerichte sind zum Essen da…

*PoC: Person of Color/People of Color – Selbstbezeichnung von Menschen, welche aufgrund ihrer äußeren Merkmale von der Mehrheitsgesellschaft wahlweise als „nicht deutsch“,“Ausländer“,“anders“ oder „fremd“ markiert werden.

** Kurz nach der Situation gab es einen Artikel bei HNA-Online, diesen könnt ihr unter folgendem Link abrufen. Aber Vorsicht, er beinhaltet ein Bild der brutalen Situation: https://www.hna.de/kassel/treppenstrasse-kassel-dieb-beisst-detektiv-ins-bein-12255256.html