Im November 2019 demonstrierten Aktivist*innen mit einer Kletteraktion gegen den damals jährlichen Naziaufmarsch in Remagen. Insgesamt sechs Menschen hatten am frühen Vormittag Bäume erklettert, Seile gespannt und mit mehreren großen Transparenten, direkt an der Naziroute, gegen das rechte Treiben Stellung bezogen. Aus einem Banner mit der Aufschrift „Kackscheiße“ und Pfeilen welche auf die Straße zeigten und Eimern mit unbekanntem Inhalt, machten die kreativen Kombinationskünstler der Polizei eine „Gefahr der öffentlichen Sicherheit“ und ließen den Aufmarsch großräumig umleiten.
Gegen alle sechs Personen wurden im Anschluss Ermittlungen eingeleitet. Vor Ort machten die Betroffenen keine
Angaben zur Person. Durch Fingerabdrücke vor Ort und Ermittlungen im Nachgang konnten vier der sechs Antifaschist*innen identifiziert werden und es wurde Anzeige erhoben.
In erster Instanz wurden die vier vom Vorwurf der Störung einer Versammlung freigesprochen. Gegen die vom Gericht verhängte Strafe von insgesamt 1000 Euro (250 Euro pro Person) wegen Personalienverweigerung wurden Rechtsmittel eingelegt. Die Staatsanwaltschaft Koblenz legte ihrerseits Berufung gegen den Freispruch ein. Trotz der sich in allen bisherigen Verhandlungen wiederholenden
offenen Geständnissen zur Körperverletzung im Amt seitens der Polizei in Remagen, wegen der Verwendung von Aceton aus dem Baumarkt und groben Schmirgelpapier gegen die Aktivist*innen auf
der Wache, hat die Staatsanwaltschaft natürlich bis heute nie Anzeige gegen die Beamt*innen erhoben.
Stand der Verfahren
Nach dem Freispruch in der ersten Instanz vor dem Amtsgericht Sinzig wurde eine Person in einem isolierten Verfahren im (25.) Januar 2022 am Landgericht Koblenz verurteilt. Daraufhin legte die Verteidigerin der Angeklaten gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision ein, welches mit Beschluss durch das Oberlandesgericht Koblenz im (17.) Oktober 2022 als „offensichtlich unbegründet“ verworfen wurde Die Angeklagten waren zuvor nicht über die Trennung der Verfahren informiert worden. Einen Antrag der Verteidigung folgend wurden die restlichen drei Verfahren dann vom Gericht wieder zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Nach mehreren Anläufen, einigen festgelegten und dann wieder abgesagten Prozessterminen, fand am 23. Juni 2023 der erste von zwei angesetzten Verhandlungstage für die drei Angeklagten statt. Das Gericht wirkte dabei überrascht von der Tatsache, dass die Angeklagten und ihre Verteidiger*innen auf die prozessualen Grundrechte ihrerseits und seitens der Öffentlichkeit bestanden.
Wie so oft kam es durch das Gericht in Koblenz und seine Handlanger*innen (Justizbeamt*innen) zu Schikane und zu diskriminierend wahrgenommenen Verhalten. Verteidigungsmöglichkeiten wurden durch Verwehrung von Laptops ohne Begründung eingeschränkt. Weiterhin wurden beim Einlass doppelte Kontrollen inklusive Abtasten, Ablegen aller Gegenstände und Einbehalten von eben dieser
durchgeführt. Besucher*innen wurden sexistisch und transfeindlich angegangen und damit teilweise am Zugang gehindert (sowohl strukturell nach Anweisung des Gerichtes, als auch im Einzelnen durch die
Justizbeamt*innen). An diesem Tag sollte auch die bereits rechtskräftig im abgetrennten Verfahren zu 30 Tagessätzen verurteilte Person gehört werden. Dazu kam es aber nicht mehr. Nach acht Stunden endete der Prozesstag, ohne dass in die Beweisaufnahme eingestiegen werden konnte. Hatte die Staatsanwaltschaft an diesem Tag noch keinen Mucks von sich gegeben und alle Vorgänge mit einem Schulterzucken ignoriert, wurde
sie am Ende des Tages dann noch aktiv: ging es doch jetzt darum, die Angeklagten direkt anzugreifen und eine weitere Trennung der Verfahren anzuregen.
Im Nachhinein wurde das Verfahren ausgesetzt, da das Gericht nicht davon ausgehen konnte, den Prozess am verbleibenden angesetzten Tag abzuschließen. Mit der Begründung, dass die Verhandlungen
angeblich in Einzelverfahren effektiver ablaufen würden, hat das Gericht zusätzlich wieder die Trennung der restlichen drei Angeklagten veranlasst. Jeder Versuch seitens der Verteidigung, das Gericht davon zu überzeugen, dass dem nicht so sein wird, wurde plump abgewiesen. Inhaltlich gab es keine nachvollziehbaren Gründe für die Trennung. Die angeblich unterschiedlich zu erwartende Beweiserhebung ist eine geradezu lächerliche Begründung, bei drei identischen Tatvorwürfen und der
Tatsache, dass die Aktion seitens der Justiz bereits als „gemeinsam geplant und durchgeführt“ angesehen wird.
Mit vier angesetzten Verhandlungstagen startete dann im November 2023 der nächste Anlauf. Nun wieder gegen nur eine*n der drei Angeklagten. Obwohl der Prozess im Dezember abgeschlossen werden sollte, musste am letzten Tag ein weiterer Verhandlungstag aufs neue Jahr festgelegt werden. Am 02.01.2024 konnte dann schließlich die Beweisaufnahme geschlossen werden und nach einem erneut langen Prozesstag wurde die zweite angeklagte Person verurteilt. Analog zur ersten verurteilten Person
wurde auch die zweite Person zu 30 Tagessätzen verurteilt – die Staatsanwaltschaft hatte 40 Tagessätze gefordert. In der Urteilsbegründung ärgerte sich der vorsitzende Richter der Kammer über das konsequente Schweigen der Angeklagten und lies es sich nicht nehmen, das ein oder andere Hufeisen zur Extremismustheorie in den Raum zu werfen.
Die zuletzt verurteilte Person wurde in diesem letzten Verfahren weiter von seiner*m solidarischen Anwalt aus der ersten Instanz unterstützt. Zudem wurde vom Gericht ein weiterer solidarischer Anwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet und eine weitere Verteidigerin (ohne juristische Ausbildung) vom Gericht zugelassen. Mit dieser breiten und politischen Verteidigung, sowie einer kontinuierlichen Prozessbegleitung durch die Öffentlichkeit über all die Tage hinweg, setzen wir uns der Repression entgegen und beziehen so im Gericht weiter klare Position gegen Faschismus. Was von dem Gericht und der Staatsanwaltschaft bisher nicht zu sehen ist. So scheuen sie sich sowohl vor dem Wort „Faschismus“ als auch der direkten Bezeichnung der „Nazis“ als solche.
Prozessverschleppung durch die Gerichte
Bis dato wurden die Prozesse durchgehend voneinander getrennt und wieder zusammengelegt und
dadurch bereits vier Hauptverhandlungen geführt bzw. begonnen. Wenn es in dem Tempo weitergeht, wird in zwei Jahren immer noch verhandelt. Scheinbar ist das Gericht nicht fähig dazu, eine stringente Linie zu fahren und entscheidet sich stetig zwischen Einzelverhandlung und gemeinsamer Verhandlung um. Dabei sollte dem Gericht klar sein, dass die Verhandlung aller Fälle gemeinsam am schnellsten abläuft, sofern dafür genug Tage angesetzt werden. Das zeigt durchaus, dass es kein Interesse seitens des
Gerichts gibt, wirklich zu einem baldigen Ende zu kommen, sondern eher die Prozesse einzeln vor sich hinsiechen zu lassen. Damit spielt sie dem eisernen Verurteilungswillen der Staatsanwaltschaft in die Hände.
Politische Staatsanwaltschaft?
Schon mit dem Strafbefehl hatte die Staatsanwaltschaft direkt zu Beginn der Verfahren gezeigt, dass sie nicht Willens ist, zur tatsächlichen Bearbeitung und Klärung der Tatvorwürfe und der juristischen Einordnung der Protestaktion beizutragen. Im Paragrafen §21 VersG sind drei Tatalternativen aufgelistet, welche zu einer Störung einer öffentlichen Versammlung führen können: das vornehmen von Gewalttätigkeiten, das Androhen dieser oder das Verursachen einer groben Störung. Weder im
Strafbefehl noch auf direkte Rückfrage an die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Sinzig am ersten Verhandlungstag wurde von ihr dazu Stellung bezogen und die Verteidigung im unklaren darüber gelassen, ob die Staatsanwaltschaft nun eine, zwei oder drei dieser Alternativen vorwirft. Erst durch das Rechtsgespräch, auf welches dann der Freispruch vor dem Amtsgericht Sinzig folgte, konnte erkennbar werden, dass sie sich wohl auf den Vorwurf der groben Störung festgelegt haben könnte.
Dass bei einem Vorwurf wie diesem, bei dem aktuell „nur“ 30 Tagessätze und ein Ordnungsgeld von 250 Euro zu erwarten sind, nach vier Jahren immer noch weiter verhandelt wird, lässt einen schon wundern.
Die Vermutung, dass dabei mehr dahinter steckt als die reine Rechtsprechung zum konkreten Fall, wurde nun durch einen Versprecher der Staatsanwältin am dritten Prozesstag des zuletzt verhandelten Verfahren bestätigt. So antwortete sie auf die Frage, weshalb die Staatsanwaltschaft sich so vehement gegen eine Einstellung stelle: „Weil immer wieder Aktionen in Remagen stattfinden“. Dann stockte sie. Davor
hielten sich die Vertretenden der Staatsanwaltschaft zwecks ihrer Gründe stets bedeckt: „Es gibt viele Gründe. Aber ich werde mich dazu nicht äußern.“
Demnach soll der Prozess also abschreckend wirken – Zuschauer*innen fällt es schwer, nicht eine weitergehende politische Agenda zu sehen. Noch nicht einmal, dass es seit zwei Jahren gar keinen Naziaufmarsch in Remagen mehr gibt, ist der Staatsanwaltschaft bewusst. Da die zuständige
Oberstaatsanwältin Andrea Maier allerdings nie anwesend ist und durchgehend wechselnde Vertreter*innen in die Prozesstage schickt, wird wohl auch kein*e der Staatsanwält*innen sich wirklich in den Prozess eingearbeitet haben, sondern stumpf die Kausa „Repression zur Abschreckung Dritter“ fortführen. Erkennbar ist dies auch ganz gut daran, dass niemand von ihnen etwas sagt, außer es geht gegen die Angeklagten.
Es gibt eine dienstliche Weisung der Chefin und Schluss. Das bei zwei der drei noch angklagten Personen keine Vorstrafen, eine lange Anreise, eine mittlerweile vier Jahre anhaltende Verfahrensdauer und keine anderen Verfahren anhängig sind, macht den nur politisch zu erklärenden Standpunkt der „es wird keine Einstellung geben“ der Staatsanwaltschaft mehr als deutlich. Während im Alltag vor Gericht – im besonderen gegen Polizist*innen oder Menschen mit Macht – ganz andere Verfahren eingestellt werden, ist dabei nicht unverständlich, sondern passt ins Bild. Kritischer und kreativer Protest darf nicht sein – schon gar nicht unangemeldet.
Wie auch im Umgang der Gerichte mit dem Vorwurf der Nötigung bei Klimaprotesten, will zudem die Justiz wohl auch im antifaschistischen Bereich durch Rechtssprechung die sogenannnte „Gewaltenteilung“ immer weiter aufweichen. Die Polizei wird zum „willenlosen Werkzeug“ von
Aktivist*innen erklärt und die Folgen der Entscheidungen der Polizei auf die Protestierenden abgewälzt.
In diesem Fall die Entscheidung den Nazi-Aufmarsch, welcher die Opfer des Holocaust verhöhnd und geschichtsverdrehende Aussagen propagiert, auf Grund einer Kletteraktion mit Transparenten und Konfetti (passender Inhalt der Eimer für die ecklige Trauer der Nazis über die Niederlage der
Nazionalsozialisten), umzuleiten.
Das Urteil wird auch die zuletzt verurteilte Person nicht hinnehmen.
Vorheriger Berichte:
Prozessaufruf erste Instanz:
Prozessbericht erste Instanz:
https://antirepressionkoblenz.noblogs.org/post/2021/07/24/freispruch-fuer-vier-antifas-vor-dem-
amtsgericht-sinzig/