Prozess wegen „Nötigung“ endet mit klarem Freispruch

Prozess wegen „Nötigung“ endet mit klarem Freispruch – Ungereimtheiten bei der polizeilichen Arbeit und in der Ermittlungsakte bleiben jedoch ungeklär

Am 25.10.2022 ging das Verfahren mit einem eindeutigen Urteil zu Ende. Nach der Anhörung der letzten von insgesamt 5 Witzenhäuser Polizei-Zeug*innen wurde die ausführliche Beweisaufnahme geschlossen. Die Richterin urteilte, dass der Tatvorwurf der Nötigung in beiden verhandelten Fällen hinfällig ist und daher nur ein Freispruch in Frage kommt. Die Kosten für das dreitägige Gerichtsverfahren trägt die Staatskasse.


Dem Angeklagten war vorgeworfen worden, mit einem Auto in zwei Fällen durch Parken den Polizeieinsatz eines Abschiebeversuchs behindert zu haben. Die Befragung der Polizei-Zeug*innen ergab, dass unsicher ist ob es sich in beiden Fällen um dieselbe Person handelte, ja nicht einmal
rekonstruiert werden kann ob es sich überhaupt um dasselbe Auto handelte. Des Weiteren war die nächtliche Situation so unübersichtlich, dass im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden kann, ob das parkende Auto unmittelbar hätte wegfahren können ohne etliche Personen auf der Fahrbahn zu gefährden.
Bezüglich der ersten Situation ist der Tatvorwurf der Nötigung nicht erfüllt, da die Polizei dem Fahrer des Autos zu keinem Zeitpunkt explizit mitteilte, dass ein Polizei-Fahrzeug hätte wegfahren wollen, zudem das Polizei-Fahrzeug nicht als solches gekennzeichnet war. Als der zivile Polizeiwagen dann schließlich wegfahren wollte, war das ungehindert möglich, da das parkende Auto bereits umgeparkt worden war.
Bezüglich der zweiten Situation legte das beim letzten Verhandlungstag angeforderte polizeiliche Einsatzprotokoll (EPS-Bericht) offen, dass die infrage kommende Situation von zu kurzer Dauer war, als dass überhaupt von einer Nötigung gesprochen werden könne.
Die Verteidigung betonte abschließend noch einmal, dass trotz dieser eindeutigen Erkenntnisse viele im Laufe des Verfahrens aufgekommenen Fragen ungeklärt bleiben:

– Warum wurden alle zur Akte gegebenen Einsatzberichte erst zwei Monate später und dann innerhalb von 2 Tagen geschrieben?

– Warum haben der Einsatz- und Dienststellenleiter sowie ein zweiter Polizeibeamte (der bei dem Einsatz viel Verantwortung übernahm) selbst keinen Einsatzbericht verfasst?

Warum hatten eben diese beiden Polizisten – wovon einer bereits in Pension ist! – wenige Tage vor ihrer Zeugenvernehmung Zugriff auf die Ermittlungsakte? Laut eigener Aussage nutzten sie die Ermittlungsakte, um sich mithilfe der darin enthaltenen  Einsatzberichte anderer Polizist*innen auf die Verhandlung vorzubereiten. Die Verwertbarkeit ihrer eigenen Aussagen ist dadurch schon nicht mehr möglich.

– Warum wurde eine enorme Anzahl an Zeug*innen im Verlauf des gesamten Verfahrens nur beiläufig und widerstrebend erwähnt? Von der BFE Einheit 48 aus Kassel war ein kompletter Zug der Hundertschaft anwesend, wovon auch einige Beamt*innen an der vorherigen Einsatzbesprechung teilgenommen hatten. Was dort besprochen wurde und wer dabei anwesend war, scheint jedoch ‚in Vergessenheit geraten‘.
Gänzlich verschwiegen wurden unbeteiligte Zeug*innen wie ein Arzt und der Schlüsseldienst, die beide eng in den Einsatz eingebunden waren.

– Warum wurde das Einsatzprotokoll (EPS-Bericht) nicht vollständig, sondern zu großen Teilen geschwärzt zur Verfügung gestellt? Wichtige – vermutlich entlastende – Details fanden dadurch keinen Eingang in die Beweisaufnahme.


Trotz allem freuen wir uns über das klare Urteil ebenso wie über die Tatsache, dass dieses dreitägige Verfahren äußerst interessante Erkenntnisse über die nordhessische Polizeiarbeit an die Öffentlichkeit
gebracht hat!
Das Verfahren hat gezeigt, dass es sich hierbei um einen reinen Repressionsprozess von Seiten der Polizeibehörden und Staatsanwaltschaft handelte – doch das Urteil hat gezeigt, dass das in diesem Fall keinen Erfolg hatte.

Bündnis gegen Abschiebung Witzenhausen
Kontakt: bgaw@riseup.net
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Pressemitteilung Witzenhausen, 26.10.2022